Geschichte
Es ist nicht das grösste, aber das geschichtsträchtigste der Schweiz: das Arbeiterstandbad Tennwil. Gebaut wurde es 1935 mit dem Ziel, den Arbeitern den Zugang zum Hallwilersee zu sichern. Heute ist das Pionierwerk der Arbeiterbewegung ein beliebter Hotspot für Badegäste und Camper aus allen Bevölkerungsschichten.
Das Arbeiterstrandbad ist auch ein Arbeiter*innenstrandbad
Die Genderdebatte hat uns eingeholt: 1935 als das Arbeiterstrandbad gegründet wurde war das erklärte Hauptziel, allen Menschen den Zugang zum schönen Ufer des Hallwilersees sicherzustellen. Getreu der Tradition der Arbeiterbewegung waren Frauen, Männer und Kinder und auch Ausländerinnen und Ausländer mitgemeint und intensiv in den Aufbau des Strandbades und des Campingplatzes involviert. «Arbeiter» war die Abgrenzung zu den Besitzenden, den Eigentümer der Grundstücke am See mit dem Ausschliesslichkeitsanspruch auf private Nutzung, nicht Abgrenzung von Männer zu Frauen.
Der klassenkämpferische Begriff der Arbeiterschaft ist schon gegen Ende des 20. Jahrhunderts «aus der Mode» gekommen. Auch wenn der marxistische Unterschied zwischen Kapital und Arbeit, resp. zwischen Eigentümern von Kapital und Personen, die nur ihre Arbeitskraft haben, grundsätzlich noch immer besteht, sind die traditionellen Arbeiter, die blue collar Worker (Industriearbeiter) wenn nicht verschwunden, so doch in der Öffentlichkeit stark in den Hintergrund getreten. Wir haben damals bewusst den Namen nicht angepasst an «Angestelltenstrandbad» oder «Strandbad für alle». Mit der Beibehaltung des historischen Begriffs des «Arbeiterstrandbades» erinnern wir gerne und bewusst daran, dass wir schon seit Jahrzehnten allen Menschen den Zugang zum schönen Ufer des Hallwilersees sicherstellen, und sich an Ziel und Auftrag nichts geändert hat.
In den letzten Jahren ist nun die Verwendung nur männlicher Begriffe von uns nahestehenden Personen immer stärker verstanden worden als Ausschluss von Frauen und Personen, die sich anders geschlechtlich definieren. Am Auftrag und Ziel des «Arbeiterstandbades» hat sich aber auch mit den aktuell verstandenen Begrifflichkeiten nichts geändert, das Ziel mit einem selbsttragenden Betrieb von Campingplatz und Strandbad diesen Auftrag langfristig allen Menschen den Zugang zum schönen Ufer des Hallwilersees sicherzustellen, ist aktueller denn je.
Das Arbeiterstrandbad bleibt das «Arbeiterstrandbad». Wir sind stolz darauf, dass der vor nun bald 90 Jahren bestehende Auftrag noch immer aktuell ist und erfolgreich umgesetzt werden kann. Wir widerstehen daher dem Versuch, die historische Bezeichnung unserer Stiftung umzuformulieren. Vielmehr machen wir damit bewusst, dass unsere damaligen Zielsetzungen nach wie vor aktuell sind. Anpassungen am Hauptnamen an der Stiftungsurkunde wäre nur dann notwendig, wenn wir an den ursprünglichen Zielen heute Änderungen vornehmen müssten, weil sie sich als zu eng oder nicht mehr umsetzbar erweisen würden.
Das hindert uns aber nicht daran, im alltäglichen Erscheinungsbild auf Webseite und im Logo auf aktuelle sprachliche Befindlichkeiten, die gerade in unserer politischen Heimat bewusst gemacht worden sind und hohe Bedeutung haben, Rücksicht zu nehmen. Damit sind gewisse Anpassungen vorzunehmen, auch um den Anschein zu vermeiden, dass wir uns mit dem historischen Namen, der etwas aus der Zeit gefallen scheint, von der bewussten Genderanpassungen abzugrenzen versuchen. Wir unterstützen alle Bestrebungen auf Gleichberechtigung aller Menschen, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Religion.
Vermächtnis der Arbeiterbewegung am Hallwilersee
Eingebettet in eine reizvolle Landschaft an der Ostseite des Sees zwischen Seengen und Meisterschwanden gehört das Arbeiterstrandbad Tennwil zu den meistbesuchten Bädern im Aargau. Bis zu 2000 Personen relaxen an heissen Sommertagen auf der Liegewiese und im Camping, geniessen die Gastronomie oder suchen Abkühlung im See.
Begonnen hatte alles in den Dreissigerjahren, der Zeit der Arbeiterbewegung. Die Vision, ein Strandbad zu bauen, hatte der damalige SP-Oberrichter Fritz Baumann aus Aarau. Längst hatte er erkannt, dass die Hänge am See mehr und mehr von Reichen vereinnahmt wurden. Zwischen 1919 und 1933 waren rund um den See 34 Bade- und Bootshäuser entstanden. Mit einem Strandbad sollte der Arbeiterschaft ein Heimatrecht am See gesichert werden, bevor das gesamte Ufer von den Reichen in Besitz genommen wird.
Baumann, ein unermüdlicher Kämpfer gegen die Alkoholsucht, verfolgte aber auch eine sozialpolitische Absicht: Die damals verbreitete Trinksucht war seiner Meinung nach das grösste Hemmnis der Arbeiterbewegung zur Erreichung höherer Ziele. Mit dem Strandbad sollten Arbeiter statt rauchgeschwängerte Dorfbeizen aufzusuchen in gesunder Luft und an einem Ort der Geborgenheit das Zusammensein geniessen können. Lange galt im Arbeiterstrandbad denn auch ein striktes Alkoholverbot.
Konservativer Gegenwind
Die Strandbad-Idee in die Tat umzusetzen, gestaltete sich schwierig. Die Begeisterung in der Arbeiterschaft war gering. Mitten in der Wirtschaftskrise, die 1935 mit über 82‘000 Arbeitslosen in der Schweiz ihren Höhepunkt erreichte, hatten Arbeiterfamilien andere Sorgen, als sich einen eigenen Badeplatz am Hallwilersee zu sichern und an Freizeitvergnügen zu denken.
Im bürgerlich-konservativen Seetal war zudem für viele die Vorstellung, dass Arbeiter „angeführt von einem roten Oberrichter“, am Hallwilersee ein eigenes Bad eröffnen wollen, unerträglich. In einem Leserbrief im „Aargauer Tagblatt“ enervierte sich ein Leserbriefschreiber: „Dass unser Vereinsleben gesprengt und Arbeiterturn- und Sängervereine entstanden sind, mag man am Ende begreifen. Dass nun aber auch der schöne Heimatsee in politische Sektoren eingeteilt werden soll, ist unsinnig.“
Andere befürchteten, dass mit einer Badi die schöne Natur am See verschandelt werde oder taxierten ein Strandbad für Arbeiter schlicht als „unnötigen Luxus“. Der „wirkliche Arbeiter“ werde es so wenig besuchen können wie der Bauer, Geschäftsmann oder Handwerker – auch diese könnten keine Zeit für Strandbäder erübrigen. Die Arbeiter begnügten sich mit den unentgeltlichen Dorfbadplätzen und lebten trotzdem nicht ungesünder. Letztlich sei es eine offene Frage, ob die Strandbäder sozial wertvoll seien oder bloss eine Modetorheit, die wieder verschwinden werde.
Allen Widerwärtigkeiten zum Trotz setzte Baumann mit einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten sein Vorhaben zielstrebig und ehrgeizig durch. Am 2. Februar 1935 gründeten 27 Personen in Meisterschwanden den „Verein Arbeiterstrandbad“. Und nur vier Monate später stand auf dem erworbenen Grundstück in Tennwil ein bescheidenes Betongebäude mit allen nötigen Infrastrukturen wie Küche, Kiosk, Toiletten und Duschen. Am 7. Juli 1935 wurde das „schönstgelegene Seebad“ als Werk sozialistischer Solidarität“ offiziell eingeweiht.
Allerdings: Nicht viel hatte gefehlt, und das Arbeiterstrandbad hätte es nie gegeben. Baumann wusste, dass ein Baustopp drohte. Mit Überstunden wurde deshalb der Bau vorangetrieben. Als die Verfügung des Kantons am Hallwilersee eintraf, war die Decke bereits betoniert und das Gebäude wurde nicht wieder abgebrochen …
Gemeinschaftliches Erleben
In den ersten Jahren blieb man im Arbeiterstrandbad fast ausschliesslich unter sich. Der Betrieb beschränkte sich auf das Wochenende. Anfallende Arbeiten wurden gemeinsam erledigt, freiwillige Helferinnen und Helfer bereiteten Suppe mit Brot und heisse Würste zu. Einen ersten Arbeitsvertrag gab es erst 1940. Die erste „Badmeisteri“ erhielt eine befristete Anstellung mit einer monatlichen Entschädigung von 200 Franken und ihr Ehemann musste am Sonntag im Schwimmbad mitanpacken.
Das Gemeinschaftserlebnis stand im Vordergrund. Auf der Liegewiese wurden Wettkämpfe ausgetragen, mit selbstgebastelten und später strandbadeigenen Paddel- und Ruderboten Wettfahrten unternommen. Legendär waren die Pfingst- und Ferienlager, wenn Satus-Turner, Sozialistische Jugend, Rote Falken oder Naturfreunde ihre Zelte aufschlugen und das Gelände in Beschlag nahmen.
Einen grossen Stellenwert hatte von jeher die Kultur. Schon in den ersten Jahren gab es neben Filmvorführungen einen Bücherverleih. In der Neuzeit kamen literarische Lesungen, Konzerte und Bilderausstellungen dazu.
Im Verlaufe der langen Geschichte hat sich das Arbeiterstrandbad kontinuierlich neuen Bedürfnissen angepasst. Die steigenden Frequenzen enthoben die Verantwortlichen zwar allmählich der Finanzsorgen. Die Entwicklung brachte aber auch ständig neue Aufgaben. Die Bauten mussten schrittweise erweitert und die sanitären Anlagen erneuert werden. Dazu wurden Aufenthalts- und Schlafräume für Gruppen erstellt.
Mit der Motorisierung stieg auch die Nachfrage nach Ferien und Freizeit im Wohnwagen. Um diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen, wurde eine zusätzliche Parzelle am See zunächst gepachtet und später gekauft. Die vielen Dauercamper verschafften dem Arbeiterstrandbad eine weitgehend witterungsunabhängige Einnahmequelle.
Seit 1965 ist der „Verein Arbeiterstrandbad Tennwil“ kein Verein mehr, sondern eine Stiftung. Am Namen „Arbeiterstrandbad“ wurde jedoch festgehalten, auch wenn von der Pionierzeit nicht mehr viel mehr als die Erinnerung übrig geblieben ist. Längst rekrutieren sich Badegäste und Camper aus allen sozialen Kreisen. Speziell an der Stiftung Arbeiterstrandbad ist die Tatsache, dass sie auch Mitglieder hat, die den Stiftungsrat wählen und die Rechnung genehmigen.
Florierendes Unternehmen
Der Stiftungsrat brachte neuen Schwung ins Strandbad. Dank Risikobereitschaft und Erneuerungswillen entwickelte sich das beschauliche Seebad unter der neuen Leitung zu einem florierenden Unternehmen.
Gegen erbitterten Widerstand des Gründungsvaters Fritz Baumann und einem jahrelangen juristischen Seilziehen wurden 1990 die alten Gebäulichkeiten durch ein zentrales Betriebsgebäude ersetzt. Im Jahre 2000 folgte ein neues Boots- und Gruppenhaus, nachdem der Sturm „Lothar“ das Massenlager erheblich beschädigt hatte. Für Familien mit Kindern wurden 2012 ein neuer Spielplatz erstellt und der See-Einstieg neu gestaltet.
Um die Attraktivität zu steigern und den Betrieb den steigenden Anforderungen eines modernen Strandbades anzupassen, hat der Stiftungsrat im Winter 2018/2019 weitere 3,7 Millionen Franken investiert. Das entspricht etwa dem dreifachen Jahresumsatz und ist gleichzeitig die grösste Investition in der Geschichte des Bades.
Das sanierungsbedürftige Gebäude mit den sanitären Anlagen aus dem Jahre 1972 wurde durch einen Holzbau mit Kiosk, Laden sowie grosszügigem Eingang ersetzt. Auf dem Dach gibt es eine Solaranlage, die den grössten Teil des Energiebedarfs für Warmwasser und Heizung deckt.
Im bestehenden Hauptgebäude wurde die Gastronomie mit einer modernen Küche ausgestattet. Eine verbreitere Terrasse gewährt noch bessere Sicht auf den See. Blickfang ist ein Holzsteg, der Gruppenhaus und Hauptgebäude verbindet. Davor entstand eine Piazza mit Sitzgelegenheiten und Pingpong-Tischen die sich bis zum neuen Kiosk- und Sanitärgebäude erstreckt. Ein besonderes Augenmerk wurde darauf gelegt, die gesamte Anlage auch für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung zugänglich zu machen.